Das Konzept von Urlaub hatte er noch nie wirklich verstanden. Während seine Arbeitskollegen schon Monate vorher auf ihren Griechenland-, Türkei- oder Spanienurlaub hinfieberten, vermied er es immer gekonnt, seine Urlaubstage einzutragen. Der Gedanke aus seiner Arbeitsroutine herausgerissen zu werden gefiel ihm ganz und gar nicht. Und von der Sonne bekam er sowieso nur jedes Mal einen fiesen Sonnenbrand.
Doch dieses Jahr konnte er sich vor der Urlaubszeit nicht drücken. Denn seine Firma zwang ihn, sich während des bevorstehenden Betriebsurlaubs zwei Wochen frei zu nehmen. Anstatt sich jedoch wie seine Kollegen auf diese Wochen zu freuen, bekam er ein mulmiges Gefühlin der Magengegend, jedes mal wenn er daran dachte.
Was sollte er mit dieser Zeit bloß anfangen? Wie sollte er sich beschäftigen?
Eines Morgens, als er sich gerade einen Kaffee aus der alten Maschine in der Büroküche rausliest, die immer so viel Lärm machte, dass es jeden bei der Arbeit störte, schnappte er ein interessantes Gespräch auf. Die neue Werkstudentin stand mit einem seiner Kollegen in der Küche und erzählte über ein Thema, welches sie offensichtlich mit Leidenschafterfüllte. Sie gestikulierte wild mit den Armen, riss die Augen auf und strahlte dabei übers ganze Gesicht. Da die Kaffeemaschine so einen Lärmmachte, verstand er jedoch nur ein paar Wortfetzen, obwohl das Mädchen ihre Stimme deutlich anhob, kaum hatte er den Knopf der Maschine betätigt.
Doch ein Wort schnappte er auf, welches Interesse in ihm weckte.
Trampen. Konnte es sein, dass dieses junge Mädchen dem Kollegen von ihren Erfahrungen beim Trampen erzählte? Nein, das war unmöglich.Immerhin war sie doch erst 19 und zudem noch eine Frau. Trampen wäre für so jemanden doch viel zu gefährlich. Und machte man so etwas heutzutage überhaupt noch?
Als die Kaffeemaschine endlich verstummte, verstummte mit ihr auch das Mädchen. Der Kollege bedankte sich bei ihr für das Gespräch und kehrte mit seiner Kaffeetasse in der Hand zurück an seinen Schreibtisch, während die junge Frau am Tresen gelehnt stehen blieb und an ihrer Tasse nippte. Sollte er nachfragen, ob er das Gespräch vorher richtig verstanden hatte?Er tat es und die Augen des Mädchen leuchteten wieder auf, als sie mit derselbenLeidenschaftzu erzählen begann, die er schon vorher bei ihr beobachtet hatte.
Sie erzählte, dass sie in ihrem Urlaub nach Portugal trampen wolle. Er fand das faszinierend und gleichzeitig unvorstellbar.Deshalb stellte er weitere Fragen, um das Gespräch aufrecht zu erhalten. Die junge Frau freute sich sichtlich über sein Interesse an ihren Geschichtenund so begann sie ihm von ihren Tramper Abenteuern zu erzählen. Er erfuhr, dass sie gerne öfter einfach so übers Wochenende an die Ostsee trampt und dann dort am Strand übernachtet.
Für ihn war diese Vorstellung so weltfremd, dass sie ihn nicht mehr losließ.
Trampen war in seiner Welt immer etwas gefährlichesgewesen. Aus diesem Grund machte es doch heutzutage auch niemand mehr. Doch offensichtlich hatte er sich getäuscht. Denn wenn ein 19 jähriges, hübsches Mädchen sicher war, dann würde er es auch sein.
Vielleicht waren seine Vorurteile unbegründet gewesen. Vielleicht waren es nur Geschichten, die er gehört und geglaubt, aber nie hinterfragt hatte.Vielleicht gab es da draußen wirklich so nette Menschen, die einem im Auto mitnahmen oder auf dem eigenen Sofa schliefen ließen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Vielleicht war die Welt nicht nur schwarz und weiß. Vielleicht war alles eine Sache der Perspektive. Vielleicht. Und der einzige Weg, um das herauszufinden war, es selber zu erleben.
Als er am nächsten Morgen zur Arbeit kam, hatte er eine Entscheidung getroffen.
Er würde etwas tun, dass er zuvor noch nie getan hatte.Er würde seine Komfortzoneverlassen und in seinem Urlaub durch Deutschland trampen. Und das erste Zeil sollte die Ostsee sein.
Er suchte das Mädchen und fand sie in der Küche, an der selben Stelle, an welcher sie sich gestern unterhalten hatten. Als er eintrat blickte sie von ihrer Tasse auf und lächelte ihn an, so, als wüsste sie bereits Bescheid. Heute steuerte er zum ersten mal seit Jahren nicht zuerst auf die Kaffeemaschine zu, sondern stellte sich sofort zu dem Mädchen und verkündete stolz seine Entscheidung.
Die junge Frau strahlte übers ganze Gesicht. Sie freute sich darüber, dass ihre Geschichte so viel in ihrem Arbeitskollegen ausgelöst hatte. Noch nie hatte sie ihn so aufgeregt und lebendig gesehen. Und er war dankbar, dass sie mit ihrer Geschichte eineAbenteuerlustin ihm geweckt hatte, von der er schon seit Jahren geglaubt hatte, sie für immer verloren zu haben.
Und so begann seine Geschichte. Ausgelöst durch ihre Geschichte. Und so wurde ihre Geschichte der Anfang von seiner.
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Marina ♥
Diese Geschichte basiert auf einer wahren Story von A. B.